Donnerstag, 8. Juni 2017

Wanderungen

Über Pfingsten war ich wieder in meiner alten Heimat. An drei Tagen bin ich fast 50 km durch fünf Dörfer, einen Flecken, eine kleine Kleinstadt und viel Landschaft gelaufen. Es war eine interessante Erfahrung. 
Da war die eine, dass ich nur wenige Menschen getroffen habe, die aber durchaus freundlich grüßten. Eine Frau kam gerade aus einem Haus heraus, sah mich den Berg hinauf gehen und wartete extra auf mich, um mit mir ein kleines Schwätzchen anzufangen. Es war in einem Nachbardorf meines Geburtsortes, dort, wo unsere Kirche war (und immer noch ist). Sie kannte meine Eltern gut und so hatten wir einiges zu besprechen. Gewohnt habe ich auch in einem Nachbardorf bei einer ehemaligen Mitschülerin, die allerdings auch nicht aus meinem Dorf stammt, sondern aus einem weiteren Nachbardorf. Vielleicht ist das symptomatisch: Im Gegensatz zu mancher Dorfforschung sind die Verwandtschafts- und Freundschaftsbeziehungen nicht auf ein Dorf bezogen, sondern bestehen in einer Gruppe nahe beieinander liegender Dörfer, in denen allein durch Schule, Kirche und Arbeit Netzwerke entstanden sind. 
Ich war an diesen Tagen der einzige Fußgänger und habe es genossen. Allerdings wirken die meisten der Orte, in denen ich war, verlassen. Das gilt auch für die Kleinstadt, die keine bemerkenswerten touristischen Angebote hat und selbst am Samstag sehr ruhig wirkte, die meisten Stadtbewohner kauften gerade in dem Supermarkt am Rande des Ortes ein, wobei selbst dieser Supermarkt eher bescheiden wirkte. 
In dem erwähnten Flecken sah es am Pfingstsonntag schon anders aus, die Nähe des Steinhuder Meeres läßt diesen Ort teilweise von den Touristenströmen profitieren und verschaffte mir einen landestypischen (vor allem als Wahlhannoveraner) Imbiss. 
Am Steinhuder Meer musste ich mir strecken- und zeitweise meinen Weg mit den fahrradfahrenden Touristen teilen, nicht schön, besonders wenn ich daran denke, wie leer es noch vor 45 Jahren hier war! Das Bruch am Südufer des Steinhuder Meeres mit dem Blick auf das kleine Hochmoor, in dem einst eine „befestigte Landschaft“ sich befand, eingrahmt von den Rehburger Bergen im Westen und dem Wiedenbrügger Berg im Süden, ist für mich immer noch ein besonderer Ort. Früher gehörte das Singen der Lerchen zu diesem Flecken Erde genauso dazu, wie das metallische Klappern des Baggers der Ziegelei Himmelreich und das Dröhnen der Noratlas und später Transall vom Flughafen Wunstorf. Von all dem ist, bis auf wenige Lerchen, nichts mehr zu hören. Stattdessen preschen jetzt radfahrende Großstädter über die Feldwege ohne allzu viel Zeit auf die Landschaft zu verschwenden. Faszinierend aber auch, wie sie alle auf dem ausgezeichneten Weg bleiben, keiner kommt auf die Idee, vom Weg abzuweichen, schön für mich, aber doch auch traurig. Sie reißen ihre 35 km um das Steinhuder Meer ab, auf Entdeckungsreise geht aber niemand. 
Unsere Dörfer wirken leer, wenn auch nicht verlassen, hier grüßt man auch den Fremden (bis auf eine Ausnahme, dazu gleich mehr), fängt sogar, siehe oben, ein Schwätzchen an. Die meisten Häuser sind wohlgepflegt, in dem Dorf, in dem ich diese Tage übernachtet habe, gibt man sich besondere Mühe. Hier gibt es sogar einen funktionierenden Hofladen - die dort gekauften Äpfel sind übrigens von besonderer Güte! Dorfgaststätten dagegen sind verschwunden, auch sonst gibt es nichts für den Wanderer. Während wir in der Großstadt (sofern man Hannover für eine solche hält) gerade Jagd auf den Autoverkehr machen, gehört das Autofahren hier zum guten Ton - ohne Auto geht gar nichts. Selbst Fahrradfahrer sind nur selten zu sehen, und dass, obwohl auch etwas abseits des Steinhuder Meeres mehr und mehr Ferienwohnungen zu finden sind. Was läuft da schief? Oder läuft da gar nichts schief, ist es nur der irritierte Blick von jemanden, der mit den falschen Vorstellungen ins Dorf kommt? Aber es gibt ja auch von den Dorfbewohnern Klagen über die schlechte Infrastruktur und den Zustand des Dorfes. Besonders meines Geburtsortes, des Ortes, in dem ich die ersten 21 Jahre meines Lebens verbracht habe. Wo einst unser Dorfladen samt Kneipe und Saal standen, der Mittelpunkt unseres Dorfs, kann man jetzt noch die Fundamentreste des Saales bewundern und das Dickicht, das sich über den Resten der früheren Anlage erstreckt. Die alte Schule gibt es noch, aber wo vorher ein schöner Garten vor der Lehrerwohnung war, ist jetzt ein Parkplatz!! Die alte Bahnhofsgaststätte steht noch, erinnert aber eher an ein Provisorium, daneben Bauzäune und unsere langsam verfallende ehemalige Molkerei. Mitten auf freien Flächen im Dorf stehen, ich kann es nicht anders beschreiben, seltsame, überdimensionierte Bungalows. Alles macht einen lieblosen, nachlässigen Eindruck. Hier hat sich ein Dorf aufgegeben, so kommt es mir jedenfalls vor, aber vielleicht ist auch alles anders. Da fällt es kaum noch auf, dass am Ortseingang nicht der Name dieses Dorfes, sondern der Gemeinde steht, zu der dies Dorf gehört. Vielleicht passt es dazu, dass ich gerade hier nicht gegrüßt wurde (allerdings war ich bei alten Freunden zum Kaffee gern gesehen).