Donnerstag, 17. September 2020

Weiterbildung: Dörfer nach 1945

 In diesem Herbst finden wieder Weiterbildungen statt. Für die erste, die sich in Braunschweig dem Thema "Dörfer nach 1945" widmet, habe ich angefangen, eine Einführung zu schreiben, die immer noch etwas unvollständig ist, aber dennoch hier schon heruntergeladen werden kann: Die große Transformation: Dörfer nach 1945.

Dienstag, 1. September 2020

Es wird langweilig - warum ich Literatur über Dörfer und den ländlichen Raum immer weniger gern lese

Es gibt ein neues Buch, geschrieben von einem sicher klugen Mann, einem Geografen, das wieder einmal vom Landleben handelt. Betrachtet man die Literatur zum Thema, so fallen zwei Arten auf: Da sind einerseits die rein wissenschaftlichen Arbeiten wie die von Trossbach und Zimmermann oder die in Halle erscheinende Reihe, herausgegeben von Nell und Weiland. Erstere geben einen eher emotionslosen, wissenschaftlichen Überblick, letztere decken ein breites Spektrum an Themen ab, wobei - bedingt durch die Herkunft der Herausgeber - eher literaturwissenschaftliche Aspekte und dann vorrangig aus einer mittel- und osteuropäischen Perspektive betrachtet werden, was dem Thema ohne Zweifel gut bekommt.

Und dann sind da, und darauf bezog sich meine Überschrift die Bücher, die einen Überblick geben wollen, aber sich als eine Verteidigung des Landlebens oder gar des Dorfes sehen. Gerhard Henkel hat mehrere solcher Bücher geschrieben. Und ich möchte nicht mißverstanden werden: Das sind durchaus kluge Bücher mit vielen wichtigen Informationen über den ländlichen Raum. Das gilt auch für das neue Buch von Bätzing. Aber, nun kommt mein großes Aber: Mir fehlt in diesen Büchern der Widerspruch, das diskursive, sie sind linear geschrieben und folgen einem einzigen Narrativ, nämlich dem, dass das Landleben unverzichtbar für eine Gesellschaft ist (was ich auch glaube, aber was vielleicht doch zu diskutieren wäre) und es vor allem dort sehr lebenswert sei. Die alte, von Bergmann schon beschriebene Agrarromantik scheint hier immer wieder durch. 

Und hier setzen meine Zweifel an. Warum etwa, so ließe sich für die Vergangenheit fragen, war es denn so schön auf dem Dorf, wenn doch die Menschen, sowie sich die Gelegenheit ergab, die Flucht ergriffen? Nun gut, nicht alle, aber doch sehr, sehr viele. Das ist doch unlogisch, es sei, man unterstellt den Landbewohnern unlogisches Verhalten. Aber wäre das nicht wieder ein arroganter städtischer Blick auf das Dorf und seine Menschen? Also, weshalb verlassen im 19. und 20. Jahrhundert so viele Menschen ihre Dörfer, wenn es dort doch ein so schönes Leben war? Vielleicht, weil diese Bilder die andere Seite des Dorflebens ausblenden? Die Härte und Abgeschiedenheit des Alltags? Und weil sie die Machtfrage ausblenden? Im 19. Jahrhundert, in der Industrialisierung setzen die Klagen über die Landflucht ein, vorgetragen von den großen Betrieben, den Großbauern und den Gutsbesitzern. Die brauchten nämlich die einfachen Leute, damit sie die Arbeit machen konnten. Eine Arbeit, die schlecht bezahlt war, keine Aufstiegsmöglichkeiten bot und kaum Chancen, sich gegen Übergriffe der Arbeitgeber zur Wehr zu setzen. Diese Bedingungen betrafen erschreckend viele Dorfbewohner, nämlich die zahlreichen Kleinststellenbesitzer und Mieter auf den Dörfern, die in den gängigen geschönten Bildern vom Dorf gern ausgeblendet werden. Für viele von diesen war es attraktiver, in die Stadt oder in die Industrie zu gehen, obwohl es dort erst einmal nicht so viel besser war, aber es gab eben die Chance des Aufstiegs. 

Wer über die Mühen des Alltags der kleinen Leute auf dem Lande mehr erfahren will, sollte sich Franz Rehbeins Berichte aus dem Leben eines Knechts und Tagelöhners ansehen (viele der von ihm Ende des 19. Jahrhunderts beschriebenen Verhältnisse decken sich erschreckend gut mit den Berichten meiner Mutter, die Ende der 1940er Jahre Magd auf einem Bauernhof war ...). Das war auch kein Einbahnstraße, Rehberg entscheidet sich, als er die Wahl hat, weiter für das Landleben und gegen die Stadt. Aber für die meisten fiel die Wahl anders aus. 

Ehe ich mich in diesem Thema verliere, ein Szenewechsel. Heute wird ja wieder über die Benachteiligung des Landes geklagt, die Geschäfte verschwinden, die Stadt kontrolliert das Land, so ließe sich sehr knapp der Befund zusammenfassen. Gleichzeitig gibt es eine massive Ästethisierung des Landlebens. In den Medien tauchen die schönen alten Bauernhöfe auf, aber die teils schrecklichen und teils zusätzlich monotonen Neubaugebiete, die sich in die Landschaft fressen, werden dabei übersehen. Das fängt bei mir hier vor dem Haus an: Noch nicht alle, aber immer mehr, schütten ihr Vorgärten mit Steinen zu, bauen große gepflasterte Stellplätze für ihre Autos. Es ist schon absurd: Während in der Stadt die autofreie Innenstadt (wo seltsamerweise kaum jemand wohnt, aber das ist eine andere Geschichte) gefordert wird, kümmert sich hier auf dem Lande niemand um weniger Autoverkehr, ganz im Gegenteil. Während die Krise des Landlebens ausgerufen wird, die in der Benachteiligung zulasten der Städte bestehe, sieht niemand die wirkliche Krise des Landlebens: Die Zerstörung des Landes durch die Dörfer und ihre Bewohner. Es ist ja nicht nur die Art und Weise, was die „neuen“ Dorfbewohner mit ihren Grundstücken veranstalten, sondern diese neuen Grundstücke selbst sind das Problem. Und das zweite Problem sind die Verantwortlichen in den Gemeinden, die eben kein Problem darin sehen, dass ihre Neubaugebiete das zerstören, was zum alten Dorf untrennbar dazu gehörte: Eine Feldmark, die elementar für die Ernährung und das Leben der Menschen war. 

Was das bedeutet, mögen ein paar Zahlen verdeutlichen: 1800 lebten auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik weniger als 20 Millionen Menschen, weniger als ein Viertel der heutigen Bevölkerung. Davon lebte die weitaus größte Zahl auf dem Land oder in Kleinstädten (deren Bürger ebenfalls immer etwas Landwirtschaft betrieben), Fleisch wurde nur in sehr geringen Mengen verzehrt, Vieh wurde vor allem gehalten, um Dünger für den Acker zu gewinnen. Ca. 80-90 % der Menschen verbrachten mehr oder weniger große Teile ihrer Zeit auf dem Feld oder mit Arbeiten, die der Gewinnung oder Zubereitung von Nahrung gewidmet waren. Und dennoch waren die Ernährungsverhältnisse aus heutiger Sicht katastrophal, drohte fast immer ein Hungerjahr, war ein voller Magen etwas Besonderes. Insofern ist es nicht verwunderlich, wenn der erwähnte Franz Rehbein seine Arbeitgeber vor allem danach bewertete, ob sie reichlich und gut zu essen gaben. Das sind ferne Zeiten, die hoffentlich nicht wiederkehren, aber wer weiß das schon?

Also bitte etwas mehr Ehrlichkeit. Und mehr Differenzierung, denn das Landleben ist nicht nur von dem Aussterben der Dörfer bedroht, wie in manchen Regionen Deutschlands, sondern auch davon, dass hier zu viele mit einem zu hohen Landverbrauch leben. 


Die Bücher:

Bätzing, Werner, Das Landleben. Geschichte und Zukunft einer gefährdeten Lebensform. München 2020.

Henkel, Gerhard, Der ländliche Raum: Gegenwart und Wandlungsprozesse seit dem 19. Jahrhundert in Deutschland. Berlin 2004 (und neuer).

Ders.: Rettet das Doref! Was jetzt zu tun ist. München 2. Aufl. 2018

Nell, Werner; Weiland, Marc, Hrg.: Imaginäre Dörfer: Zur Wiederkehr des Dörflichen in Literatur, Film und Lebenswelt. Bielefeld 2014.

Trossbach, Werner; Zimmermann, Clemens, Die Geschichte des Dorfes. Von den Anfängen im Frankenreich zur bundesdeutschen Gegenwart. Stuttgart 2006.


Franz Rehbein, Aus dem Leben eines Landarbeiters und Tagelöhners gibt es u.a. hier: [http://www.zeno.org/Kulturgeschichte/M/Rehbein,+Franz/Das+Leben+eines+Landarbeiters]


Samstag, 22. August 2020

Vom Wert des Ackerlandes

 Die aktuellen Debatten zwischen Nabu und Landwirtschaft sind hochinteressant, verweisen sie doch auf ein zentrales Problem unserer aktuellen Debatten, sie gehen an einem zentralen Aspekt vorbei: dem exzessiven Verbrauch von Ackerflächen für Siedlungen und Verkehr! Derzeit sind es etwa 56 ha täglich (!), die in diesem Land für Siedlung und Verkehr verloren gehen; zwischen 1992 und 2017 waren das insgesamt 1,29 Millionen ha!

Das Umweltbundesamt schreibt dazu: 

„Insgesamt sind die Inanspruchnahme immer neuer Flächen und die Zerstörung von Böden auf die Dauer nicht vertretbar und sollten beendet werden. Angesichts global begrenzter Landwirtschaftsflächen und fruchtbarer Böden sowie der wachsenden Weltbevölkerung ist der anhaltende Flächenverbrauch mit all seinen negativen Folgen unverantwortlich. Dies gilt auch und besonders mit Rücksicht auf künftige Generationen.“ (https://www.umweltbundesamt.de/daten/flaeche-boden-land-oekosysteme/flaeche/siedlungs-verkehrsflaeche#anhaltender-flachenverbrauch-fur-siedlungs-und-verkehrszwecke-)

Diese Zerstörung von Natur in großem Stil findet auch in Schaumburg statt. In Nienstädt soll eine Umgehungsstraße gebaut werden, in Bad Nenndorf ein großes Werk für VW, fast jede Gemeinde ist „stolz“ auf ihre Neubaugebiete, immer mehr Eigenheimbesitzer pflastern ihre Grundstücke zu oder legen „Gärten des Grauens“ an. Nahezu grotesk mutet es dann an, wenn - wie gerade in Bad Nenndorf - davon die Rede ist, „Ausgleichsflächen“ zu schaffen: Woher sollen die denn kommen? Allerdings gibt es nicht nur das Negieren dieses enormen Flächenverbrauchs, sondern Ackerland wird als weniger „wertvoll“ angesehen als naturnahe Flächen. Wenn wir also genug „naturnahe“ Flächen ausweisen, so die Annahme, sei das Problem gelöst. Diese Flächen sind dann logischerweise Ackerland ...

Was bei der Zerstörung von Ackerland gern vergessen wird: Wenn wir ökologisch angebaute Nahrungsmittel haben wollen, dann brauchen wir das gute Ackerland! Aber genau diese Flächen werden zugunsten von Neubaugebieten, Straßen und Gewerbegebieten zerstört und zwar unwiederbringlich. Während die vermeintlich „wertvollen“ Flächen noch einen gewissen Schutz erfahren, gilt das für Ackerland nicht. 

Für die Menschen vor 200 Jahren, die immer mit katastrophalen Hungersnöten rechnen mussten, war es klar, dass Ackerland schützenswert war, weil es die Ernährung der Menschen (zusammen mit der Nutzung von Gemeinheiten und Weiden) sicherte. Niemand wäre auf die Idee gekommen, auf den besten Böden der jeweiligen Gemarkung Häuser zu bauen. Heute finden wir ein solches Verhalten normal. Das kann man gut in einigen Gemeinden Schaumburgs sehen. In Altenhagen (Hagenburg) beispielsweise sind große Teile des ursprünglichen Ackerlandes mittlerweile ein riesiges Gebiet mit Einfamilienhäusern geworden.  

Das Ziel muss dagegen sein, den Flächenverbrauch massiv weiter zu senken, anstatt ihn zu erhöhen und dabei nicht nur auf naturnahe Flächen zu sehen. Das setzt neue Ideen und vor allem neue Verhaltensweisen voraus, an denen es aber offenkundig auch in Schaumburg mangelt. So würde eine Wiederinbetriebnahme der Eisenbahn zwischen Rinteln und Stadthagen keine Flächen verbrauchen, eine Umgehungsstraße aber sehr wohl. Erstaunlich ist an den Nienstädter Verhältnissen, dass im Unterschied zum Auetal offenbar der Widerstand nicht breiter ausfällt gegen eine großflächige Zerstörung von Landschaft und Ackerland.

Ohne ein strukturelles Umdenken in Sachen Flächenverbrauch und eine Neubewertung von Ackerland werden die jetzt geführten Auseinandersetzungen wenig an den entscheidenden Problemen ändern.