Montag, 24. Mai 2021

Über die Dörfer

 Es gibt sie noch, die abgeschiedenen, stillen Dörfer: wenig Häuser, kaum Neubauten, alles eher alt, manches verwahrlost, anderes verlassen, wieder anderes liebevoll hergerichtet. Zwischendurch eine Rasen- oder schlimmer noch, eine Steinwüste. Aber letzteres hält sich noch(?) in Grenzen, allerdings ist unübersehbar, dass Dorfbewohner es gern ordentlich haben - zumindest in der Masse. Aber die fehlenden Neubaugebiete verhindern ein zu eintöniges Bild. Es wechseln sich also in diesen abgelegenen, kleinen Dörfer größere Hofanlagen, kleinere Höfe, Neubauten aus den 1950er Jahren bis heute ab. Die Grundstücke sind meist nicht gleichmäßig, sondern oft regelrecht ineinander verschachtelt. Die Gärten sind groß, allerdings ebenfalls auch die Parkplätze vor den Häusern. 

Man sieht noch recht viel ältere Bäume und Büsche, jedoch sind die Rasenflächen recht ausgedehnt und kurz geschnitten. Der Blick auf die meist kurzgeschorenen Rasenflächen läßt den nostalgischen Blick schärfen. Echte Gemüsegärten gibt es so gut wie gar nicht, mal ein schon aufgeworfenes Kartoffelfeld, aber das war es, keine Bohnen oder Erbsen, Erdbeeren oder Stachelbeeren. Vielleicht sind diese Gärten schön hinter den Häusern versteckt, damit niemand etwas sieht. Aber das erscheint mir unwahrscheinlich. Vielmehr zeugen die durchaus liebevoll angelegten Gärten mit Büschen, Ziersträuchen, neckischen Figuren und Steinhaufen von dem Bemühen, es „schön“ zu haben, wobei das, was „schön“ ist, sehr im Auge des Betrachters liegt, wie es so schön heißt. Für einen Nutzgarten ist da wenig Platz - und vermutlich auch Zeit, denn die scheint knapp zu sein. 

Vielleicht ist in den Dörfern die Freude darüber, sich von der Mühsal der Landarbeit emanzipiert zu haben, immer noch zu ausgeprägt, als dass man dem eigenen Nutzgarten nachtrauern würde. Es stehen auch meist genügend Autos vor der Tür, um schnell zum nächsten Supermarkt fahren zu können, der sich im nächsten oder übernächsten Ort befindet. Es fehlt aber noch mehr. In diesen kleinen, stillen Dörfern gibt es schon längst keine Läden mehr, keinen Bäcker, keinen Dorfladen, keine Schule, keine Post. Sie sind alle mit den Nutzgärten ausgezogen und offenbar vermisst sie niemand ernsthaft. Das Leben funktioniert auch ohne sie ganz gut. 

Es ist nämlich noch etwas aus diesen kleinen, stillen Dörfern verschwunden: die Armut. Den Menschen hier scheint es durchgehend sehr gut zu gehen, davon zeugen die gepflegten Häuser und Gärten, der Zierrat an und um die Häuser, die mindestens zwei, meist neueren Pkw, daneben steht dann zuweilen auch noch ein Wohnmobil. Man ist wohlhabend. Die Armut, einst ein unumgänglicher Bewohner von Dörfern ist verschwunden oder zumindest nicht mehr sichtbar. 

Sichtbar ist ein schönes Stichwort, denn sichtbar ist auch anderes nicht, etwa die Menschen. Man kann durch mehrere Dörfer gehen, bei schönstem Wetter, es ist kaum jemand zu sehen. Nicht auf den Dorfstraßen, nicht vor den Häusern, nicht in Gärten. Man geht zuweilen durch eine verlassene, stille Idylle. Und stünden da nicht überall Autos vor den Häusern, sollte man meinen, dass die Menschen ihre Dörfer zusammen mit der Post, dem Nutzgarten, dem Dorfladen, der Dorfschule verlassen haben. Wo sind etwa die alten Frauen geblieben, die wiegend mit dem Fahrrad durchs Dorf fuhren? Wo die Kinder? 

Verschwunden ist auch die Landwirtschaft. Und das ist das Seltsamste. Sicher, wenn man sich dem Dorf zu Fuß, nicht per Auto oder per Rad, nähert, dann geht man durch Felder. Große Felder, zuweilen, aber nur sehr selten, eingehegt durch Hecken, manchmal immerhin noch umgeben von einem schmalen Ackerrain, aber sonst riesige Felder. Von Menschen verlassene Felder, die nur zu bestimmten Zeiten von riesigen Maschinen bevölkert werden. Kommt man dann in die Dörfer, dann gibt es dort höchstens noch eine Hofanlage zu sehen, auf der Landwirtschaft betrieben wird. Wenn man Glück hat. Allerdings haben Pferde wieder Einzug in manche Dörfer gehalten, Pferde zum Spaß und als Hobby, nicht als notwendige Nutztiere. Aber immerhin, es riecht dann ein wenig nach Tier und Mist. 

Vielleicht habe ich nur die falschen Bilder im Kopf, Bilder von Dörfern, die über Jahrhunderte ganz aussahen, in denen das Leben nicht so leicht und einfach war wie heute, die aber nicht verlassen waren von Ente, Pferde, Kuh, Schwein, Erbsen, Bohnen, Dorfschule oder Armut. 





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